Home > Moore > Management > Umsetzung > Projektablauf > Ziele > Entwicklungsziele Biotoptypen


Entwicklungsziele - Biotoptypen, Lebensgemeinschaften

am Beispiel Murnauer Moos (Wagner & al. 2000)


Die Formulierung von Entwicklungszielen als konkrete Ziel-Biotoptypen und von Zielarten vereinfacht die innerfachliche Abstimmung. Je detaillierter die Ziele formuliert werden, desto eher können sie als Grundlage für Erfolgskontrollen herangezogen werden.

In der Zielkarte zur Erhaltung und Entwicklung der Biotope werden die Leitbilder der Gebietsentwicklung parzellengenau konkretisiert. Dargestellt wird der jeweilige Zielbiotoptyp und die angestrebte Naturnähestufe, also der Grad der menschlichen Beeinflussung sowie die Priorität für die Einzelfläche. Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele lassen sich damit bereits in gewissem Umfang ableiten.

Karte: Ziel-Biotoptypen


Tabelle: Naturnähestufen, Zielbiotoptypen und Flächenanteile


Erhaltung und Entwicklung naturnaher Lebensgemeinschaften der Hoch- und Übergangsmoore

Das Untersuchungsgebiet stellt einen Schwerpunktraum zum Schutz gefährdeter Hoch- und Übergangsmoor-Lebensgemeinschaften dar, die im Gebiet aufgrund der Großflächigkeit und moorstrukturellen Vielfalt dieser Moortypen ein sehr breites Typenspektrum aufweisen. Ziel für diese, in ihrem Artenspektrum nicht kulturabhängigen Lebensgemeinschaften ist es, einerseits bereits naturnahe Flächen zu schützen und andererseits, durch Kultureinflüsse, vor allem Eingriffe in den Wasserhaushalt gestörte Teile zu regenerieren und einer möglichst natürlichen Entwicklung zu überlassen.

Erhaltung und Entwicklung überwiegend naturnaher Lebensgemeinschaften der Schwingrasen, Schlenken und Fadenseggenriede

Die Schlenkengesellschaften und Fadenseggenriede stellen sowohl faunistisch als auch floristisch einen sehr bedeutenden Bestandteil des Lebensraumspektrums des Gebietes dar. Mehrere Gebiete sind alleine aufgrund des Vorkommens vom Aussterben bedrohter Arten, wie dem Zierlichen Wollgras (Eriophorum gracile), der Torfsegge (Carex heleonastes), dem Bruchmoos (Meesia triquetra), der Heidelbeerweide (Salix myrtilloides), der Zwerglibelle (Nehalennia speciosa) und zahlreicher anderer von bundesweiter Bedeutung. Die gleiche Bedeutung ergibt sich in Bezug auf die Repräsentanz des vollständigen Typenspektrums von Schlenkengesellschaften süddeutscher Moore; für einige Assoziationen konnte fast die gesamte aus Nord- und Mitteleuropa beschriebene Palette an Ausbildungen im Gebiet nachgewiesen werden.

Vielen Flächen kommt aufgrund der extremen Standortbedingungen eine primäre Lebensraumfunktion zu, in anderen Gebieten sollte diese durch hydrologische Sanierungsmaßnahmen wiederhergestellt werden. Ein Teil der Vorkommen ist kulturabhängig. Im einzelnen bestehen folgende Ziele:

  • Schutz aller primären Lebensgemeinschaften und Biotope durch vollständigen Nutzungsverzicht (überwiegend Tabuzone).
  • Verbesserung der Artenschutzfunktion für nässeadaptierte Moorarten durch hydrologische Sanierung vorentwässerter Gebiete 
  • Erhaltung nutzungsabhängiger Schlenken-Gesellschaften und Fadenseggenriede.

 

Erhaltung und Entwicklung der Kleinseggenriede als überwiegend kulturbetonte Lebensgemeinschaften

Zur Erhaltung dieser Kulturformation obliegt dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen als einem der beiden streuwiesenreichsten Landkreise Bayerns und damit der Bundesrepublik eine bundesweite Verantwortung. Dies vor allem vor dem Hintergrund des dramatischen Rückgangs und der Bedeutung dieser Lebensgemeinschaften für den Artenschutz. Bundesweit ergibt sich nur noch in einigen Landkreisen des Alpenvorlands die Möglichkeit, großflächige Streuwiesenlandschaften zu erhalten. Für die Kleinseggenriede bestehen folgende Ziele:

  • Erhaltung aller pflegeabhängigen Vorkommen der Kleinseggenriede.
  • Regeneration der für den Arten- und Biotopschutz relevanten, heute brachen, unregelmäßig oder zu früh gemähten, aufgeforsteten oder intensivierten Bestände.
  • Schutz der nicht pflegebedürftigen, primären Kleinseggenriede vor negativen Randeinflüssen, insbesondere hydrologischen Störungen und Entwicklung potentieller Primärlebensräume.

 

Erhaltung naturnaher und kulturbetonter Großseggenriede und Röhrichte.

Insbesondere im Murnauer Moos, in den Loisachmooren und im Staffelseebecken siedeln im Bereich nasser, meso- bis eutropher Nieder- Quell- und Überflutungsmoore großflächige Großseggenriede. In Abhängigkeit von ihrer Bedeutung für den Artenschutz bestehen unterschiedliche Ziel- und Entwicklungsvorstellungen:

  • Erhaltung aller kulturabhängigen Bestände als Lebensraum für auf regelmäßige Pflege angewiesene Arten, wie z. B. Brachvogel, Karlszepter (Pedicularis sceptrum-carolinum) oder Strohgelbes Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata ssp. ochroleuca).

  • Erhaltung bedingt naturnaher Großseggenriede als Lebensraum von Arten, die auf sporadische Nutzung angewiesen sind (z. B. Wachtelkönig, Sumpf-Platterbse)

  • Erhaltung und Entwicklung möglichst naturnaher Großseggenriede als Lebensraum für Arten der Naturlandschaft oder große Störungsfreiheit benötigender Arten (z. B. Zwergdommel, Großer Rohrdommel, Rohrweihe, Dryopteris cristata, zahlreiche nutzungsunabhängige Arten der Großseggenriede). Dabei ist es vor allem im Murnauer Moos Ziel, vollständig und großflächig naturnahe Niedermoorbereiche zu entwickeln, die einer ungestörten Eigendynamik unterliegen und das gesamte Spektrum der sich natürlicherweise bildenden Vegetationsstadien und -phasen einschließen.

 

Erhaltung und Entwicklung kulturbetonter Nasswiesen, Pfeifengraswiesen und Magerrasen

Zusammen mit den Kleinseggenrieden und einigen Ausbildungen der Großseggenriede bilden die Nass- und Pfeifengraswiesen die Gruppe der Streuwiesen-Lebensgemeinschaften, die im Gebiet wie in kaum einer anderen Region großflächig, in großer Mannigfaltigkeit und in repräsentativen Zonationen geschützt werden können. Dabei kommt gerade vielen Pfeifengraswiesen, die bundesweit in die Kategorie "von vollständiger Vernichtung bedroht" aufgenommen wurden (Riecken et al. 1994: 53), eine sowohl hinsichtlich der Dichte als auch der Anzahl gefährdeter Arten sehr hohe, oft gesamtstaatliche Bedeutung zu. Als bundesweit vom Aussterben bedrohte Arten dieses Lebensraumstyps zu nennen sind z. B. der Heilziest-Dickkopffalter (Carcharodus flocciferus) und für die Pflanzenwelt das Wanzenknabenkraut (Orchis coriophora) und die Sumpfgladiole (Gladiolus palustris). Im einzelnen bestehen für die Nasswiesen, Pfeifengraswiesen und Magerrasen folgende Ziele:

  • Von sehr hoher Bedeutung ist die Erhaltung aller artenschutzrelevanten und repräsentativen Vorkommen. Darüber hinaus sollten degradierte, brache oder intensivierte Bestände regeneriert werden.

  • Über die Bestandserhaltung und -optimierung hinaus sollten insbesondere für die bayernweit bedeutsamen wechseltrockenen Pfeifengraswiesen und in einzelnen Gebieten auch für die Magerrasen durch Extensivierung entsprechender Standorte neue Lebensräume erschlossen werden. Schwerpunktgebiete sind zum einen die Auenstandorte entlang der Fließgewässer Ach, Lindenbach und Loisach, zum anderen Zonationen im Bereich von Hangmooren und Mineralbodenstandorten (z.B. Widerer, Wengen, Steigenberg, Heumoosberg). Auch für großflächig zusammenhängende Streuwiesengebiete mit insulär eingestreutem Wirtschaftsgrünland wird teilweise eine Extensivierung vorgeschlagen.

Die großflächige Extensivierung von Wirtschaftsgrünland aus Gründen des Arten- und Biotopschutzes wird, sofern von diesen Flächen keine Störung schutzwürdiger Bestände ausgeht, nicht für prioritär gehalten, da die Erhaltung und Regeneration derzeit schutzwürdiger Biotope im Gebiet wichtiger ist als die Entwicklung schutzwürdiger Bestände aus derzeit nicht artenschutzrelevanten Flächen.


Erhaltung und Entwicklung naturnaher Moor- und Bruchwälder

Das Untersuchungsgebiet unterlag vermutlich bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts einer extensiven, aber flächendeckenden Streu-, Weide- und Holznutzung, sodass natürlich aufgebaute Artengemeinschaften durch kulturbetonte und -geprägte Biozönosen ersetzt wurden. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts regenerierten sich mit dem Rückzug der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung naturnähere Lebensgemeinschaften. Die Entwicklung naturnaher Lebensgemeinschaften, die auf vielen Standorten mit einer stärkeren Gehölzetablierung verbunden ist, in größerem Umfang zu fördern, ist ein Hauptziel des Naturschutzes im Gebiet. Dabei müssen mit diesem Prozess keinesfalls gravierende Artenverschiebungen verbunden sein, da die Arten von Offenlandbiotopen auch in den entsprechenden Gehölzgemeinschaften Lebensraum finden können. So siedelt eine Vielzahl von Arten offener Hoch-, Übergangs- und Zwischenmoore in Moorwäldern, und Arten eutropher Niedermoore sind häufig in Bruchwaldgesellschaften anzutreffen. Dies gilt zumindest für die Flora, ist aber auch für die Fauna - zyklische und mosaikartig wechselnde Zerfallsphasen vorausgesetzt - anzunehmen. Einige schutzbedürftige Arten, die unter der flächenintensiven Nutzung früherer Zeiten gelitten haben, dürften sogar eine Bestandserholung erfahren (z.B. Betula humilis, Salix myrtilloides). Grundsätzliche Voraussetzung dafür, dass aber auch wirklich natürliche, nicht pseudonatürliche Prozesse der Biozönoseentwicklung zum tragen kommen, ist allerdings, dass die Standortverhältnisse, insbesondere die hydrologischen Bedingungen den natürlichen gleichen.

Während das Untersuchungsgebiet über großflächige Moorwald-Bestände mit reichem Typenspektrum verfügt, finden sich großflächigere Vorkommen nasser Bruchwälder nur im Murnauer Moos am Fuß der Köchel. In den anderen Gebieten treten diese Lebensgemeinschaften dagegen nur kleinflächig in nassen Muldensituationen auf. Gemessen an dem potentiellen Areal, das diese Waldgesellschaften natürlicherweise einnehmen würden, sind sie stark unterrepräsentiert. Aus Sicht des Biozönoseschutzes und des Schutzes eigendynamischer Ökosystementwicklungen (Prozessschutz) sollte dem Biotoptyp mehr Raum zugestanden werden. Vor allem aus wissenschaftlicher, syndynamischer Sicht sind großflächige Gebiete anzustreben, die ganze Standortabfolgen einschließen und damit die Möglichkeit bieten, Fragen der Nässegrenze des Moor- und Bruchwaldes, der Zyklizität solcher Lebensgemeinschaften und der ökologischen Amplitude der beteiligten Arten zu erforschen. Darüber hinaus können insbesondere die Zwischenmoor-Ausbildungen der Nasswälder von erheblicher Artenschutzbedeutung sein. Dies gilt nicht nur für die minerotrophen Bergkiefernmoore, sondern auch für nasse Moorbirken-, Fichten- und Erlen-Wälder mit Torfmoosbeteiligung oder Strauch-Gesellschaften entsprechender Standorte. Grundvoraussetzung zur Entwicklung großflächiger Zonen nutzungsunabhängiger Moor- und Bruchwaldkomplexe mit Bedeutung für den Arten- und Biozönoseschutz ist aber immer die Erhaltung hydrologisch ungestörter Verhältnisse bzw. ihre Regeneration.

Reaktivierung entwässerter Torfstiche

Bei den Torfstichen, die im Gebiet fast durchgängig über ein noch funktionstüchtiges Entwässerungssystem verfügen, ist aus Gründen des abiotischen Ressourcenschutzes, aus hydrologisch-moorökologischen und aus floristisch-vegetationskundlichen Gründen prinzipiell die Wiedervernässung anzustreben. Aus tierökologischer Sicht ist dieser Forderung in Fällen, wo hochspezialisierte Tierarten bestimmte Entwicklungsstadien, wie z.B. der Buntbäuchige Grashüpfer (Omocestus rufipes) offene, trockene, sich aufheizende Standorte nutzen, nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Solche Strukturen können im Rahmen einer hydrologischen Sanierung durchaus berücksichtigt werden. Aus gesamtökologischer, insbesondere moorökologischer Sicht nicht vertretbar wäre dagegen das Bestreben, kleinbäuerliche Torfstichnutzung, mit der eine höhere Artendiversität einhergehen kann, zu etablieren. Vielmehr sollten zur Verminderung der Torfmineralisation, zur Vermeidung von Stoffausträgen (CO2, N2O, P), zur Erhaltung oligotropher Standorte, zum Schutz angrenzender Moore und zur Entwicklung von Sekundärlebensräumen von Arten nasser, dystropher bis ombrominerotropher Moore trockene Torfstiche grundsätzlich vernässt werden.

Entwicklung naturnaher Wälder auf Mineralböden

Auch die Entwicklung großflächig möglichst naturnaher Wälder auf mittleren Mineralbodenstandorten ist im Gebiet ein Ziel des Naturschutzes. Allerdings wird dieser Zielsetzung vor allem aus folgenden Gründen keine höhere Priorität eingeräumt. Zum einen können die Bestände verglichen mit anderen Biotopen des Untersuchungsgebietes nur einen geringen Beitrag zum Schutz stärker gefährdeter Arten leisten bzw. erfüllen diese Funktion auch bei der bisherigen Waldbewirtschaftung (z.B. für die bundesweit gefährdeten Arten Geflecktes Knabenkraut, Dactylorhiza maculata, oder Keulen-Bärlapp, Lycopodium clavatum). Auch ihre aktuelle Bedeutung zum Schutz gefährdeter Biotoptypen (Riecken et al. 1994), gefährdeter Pflanzengesellschaften (Walentowski et al. 1990) oder seltener Ökosystemtypen mit bestimmten schutzwürdigen Eigenschaften - z.B. besonders repräsentativer Ausbildungen bestimmter Entwicklungsphasen - ist gering.

Prioritäre Zielvorstellungen müssten sich also in erster Linie aus dem Entwicklungspotential, also der Frage, welche Eignung hat das Gebiet für die Entwicklung naturnaher Wälder im Naturraum, begründen.

Diesbezüglich ist für die Grundmoränenlandschaft des mittleren bayerischen Alpenvorlands generell festzustellen, dass größere Waldgebiete vergleichsweise geringe Flächenanteile haben und die hier stockenden Wälder überwiegend forstlich stark überprägt sind. Damit bestehen wie auch im Gebiet nur sehr wenige Beispiele für die potentielle Vegetation dieses Naturraums, so dass die Forderung nach einer Erhöhung des Anteils für die Grundmoränenlandschaft repräsentativer Waldgesellschaften begründet ist. In diesem Zusammenhang kommt den Wäldern im Kerngebiet III durchaus Bedeutung zu, da es neben den Wäldern im Sulzschneider Forst, denen im Bereich Grasleiten oder den Beständen am Fuße der Trauchgauer Berge zu den größeren Waldgebieten gehört.

Im Rahmen des PEPL können hierzu aber kaum sinnvolle Prioritäten gesetzt werden, so dass letztendlich der Zielstellung Entwicklung naturnaher, für den Landschaftsraum repräsentativer Wälder nur geringe Priorität eingeräumt wird. Dies liegt an der Hauptzielsetzung des Projektes, die in der Erhaltung einer bundesweit bedeutsamen Moor- und Streuwiesenlandschaft gesehen wird.

Ausnahmen bilden Mineralbodenwälder im Umfeld wertvoller Moorökosysteme, wie zum Beispiel die Köchel im Murnauer Moos, die teilweise über naturnahe Waldlebensgemeinschaften verfügen und aufgrund ihrer standörtlichen Sonderstellung sowie ihrer Lage im "Herzen" eines international bedeutsamen Moorkomplexes Bestandteil der vollständig nutzungsbefreiten Tabuzone des Murnauer Mooses werden sollten.



Wagner, A., Wagner, I. & Georgii, B. (2000): Pflege- und Entwicklungsplan Murnauer Moos, Moore westlich des Staffelsees und Umgebung. Unveröff. Gutachten i. Auftrag des Landkreises Garmisch-Partenkirchen, 738 S. + Anhang,


emailhome zurück

28.01.2006

© ALW 2004 Angewandte Landschaftsökologie, Dr. Alfred und Ingrid Wagner, Unterammergau